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Unter vier Augen
Info zu Hintergründen & Entstehung der Bilder
Eine locker zusammengewürfelte Galerie von Personen, mehr oder weniger bekannt, mit Anetta Küchler-Mocny. Einzige alle verbindende Klammer ist diese Dokumentation. Eine im wahrsten Sinne des Wortes imaginäre Runde, eine illustre Gesellschaft, nur die Malerei führt alle diese Personen zusammen. Wenn man so will, eine Art Patientenkartei, haben sie doch alle auf Anetta Küchler-Mocnys Couch gesessen. Von einer Therapie zu sprechen wäre vielleicht nicht ganz verkehrt, aber etwas hoch gegriffen, ganz sicher hingegen weist Anetta Küchler-Mocnys Malerei ausgesprochen diagnostische Züge auf.
Bei der Anlage dieser "Kartei" folgt die Künstlerin einem strengen Konzept. Alle Bilder haben das gleiche Format, 20 x 18 cm, bis auf einige Rundformate mit einem Durchmesser von 20 cm. Sie sind in Originalgröße abgebildet. Jede Person ist mit einer Doppelseite vertreten, rechts das gemalte Bild, links ein Foto, allerdings aus einer anderen Perspektive, sodass sich kein Vergleich anbietet, also ganz bewusst keine Referenz.
Betritt man Anetta Küchler-Mocnys Atelier, so fallen einem zunächst ringsum an der Wand aufgereihte Bilder auf, erst wenige, im Verlauf der Sitzungen immer mehr, fertige, halbfertige, gerade angefangene, gescheiterte, aber noch nicht aufgegebene, und richtig gute, alles durcheinander. Auf dem Boden verteilt zahllose Dosen mit Farbe, Tuben, Kanister mit Pinselreiniger und Verdünnung, Pinsel in allen Größen und Schattierungen, Teller und Tassen zum Mischen der Farben. Irgendwie drängt sich das Bild eines abgegrasten Buffets auf. Und mitten in diesem Ensemble ein Stuhl als Sitzgelegenheit für die Malerin, an der Wand ein Sofa für das jeweilige Modell und etwas versetzt eine verkrustete Staffelei als Standort für das Bild. Gelegentlich nimmt Anetta Küchler-Mocny zum Weitermalen das Bild in die Hand, sie malt dann sozusagen beidhändig. Mit der einen Hand führt sie das Bild, mit der anderen den Pinsel. Das schafft einen noch direkteren, noch physischeren Kontakt.
Jedenfalls ergibt sich aus Stuhl, Sofa und Staffelei ein Dreieck. Sicher nicht zufällig, denn es markiert genau die Dreiecksbeziehung zwischen Malerin, Modell und Bild.
Erste Kontakte finden statt - zwischen Malerin und Modell, dann verlagert sich die Aufmerksamkeit der Malerin auf das entstehende Bild. Eine erste Schicht entsteht, eine Lasur, eine grobe Form, eine farbige Grundstimmung. Irgendwann kommt der Moment, da steht das Modell seinem Bild gegenüber - Auge in Auge.
Zwischendurch geht es natürlich auch immer hin und her, es findet ein ständig wechselnder Dialog statt. Das heißt, eigentlich ist es kein Dialog, sondern ein Trialog, oder viel mehr drei Dialoge.
Erstens: Malerin - Modell
Zweitens: Malerin - Bild
Drittens: Modell - Bild.
Diese Dialoge finden auf allen möglichen Ebenen statt: im Gespräch, im zeichnerischen Abtasten, in der Reflexion der schon gemalten Bilder, im stillen Gegenübersitzen, in Blickkontakten usw.
Der intensivste Dialog findet sicher zwischen Malerin und Bild statt. Wobei man sich Anetta Küchler-Mocnys Malerei nicht als Porträtmalerei im üblichen Sinne vorstellen darf, wo durch genaues Hingucken, Maßnehmen und Übertragen sukzessive ein Konterfei entsteht. Sicher, die Malerin schaut auch genau hin, sehr genau sogar, aber sie misst nicht ab, sie überträgt nicht, sondern sie sucht das Bild auf der Leinwand. Sie bildet nicht ab, sie macht sich ein Bild. Es entsteht nicht in ihrem Kopf, sondern beim Malen durch das Malen.
Augenscheinliche Ähnlichkeiten, wie sie das Ziel üblicher Porträtmalerei sind, lassen sich mit etwas Übung und Routine unschwer hinkriegen. Diese Art jedoch von Gesichtsfindung, wie sie Anetta Küchler-Mocny betreibt, ist jedes Mal ein Neuanfang, wie beim Roulette. Neues Spiel, neues Glück. Sie versucht jedes Bild so zu malen, als ob es ihr erstes wäre, und nicht aufgrund von Erfahrung und Routine eine zweifelhafte Meisterschaft zu erlangen. Es gibt keine Regel, sagt sie, aber auch das sei keine Regel. Sie kriegt es halt nicht geregelt, was jedoch in ihrem Falle kein Defizit ist, sondern für ihre Malerei etwas ganz, ganz Wertvolles. So entsteht echte Einmaligkeit, ungebrochen durch sich wiederholende Stilmerkmale. Einmaligkeit? Kommt das vielleicht von Malen, einmal malen, Ein-malig-keit. So etwas jedenfalls ist ihre Malerei. Auf diese Weise geht sie natürlich ein hohes Risiko ein. Es gibt keine vertrauten Stilmittel, auf die sie sich stützen könnte. Jedes Bild, jedes Gesicht fordert seinen eigenen Stil, seine eigene Malerei. Eine sehr mühevolle Arbeitsweise, die widersinnigerweise kein Bemühen zulässt. Es lässt sich nicht zwingen. Das Bild will bisweilen nicht gelingen. Der Pinsel findet nicht das Vis á Vis. Dann muss der Bleistift wieder her, das konzentriert den Blick, das schärft das Bild, neuer Versuch.
In der Regel malt die Künstlerin an mehreren Bildern zu einer Person gleichzeitig bzw. in ständigem Wechsel. Das sind keine Variationen, sondern es vergrößert die Experimentierfläche und erhöht die Trefferquote. Nicht ein Bild ist Vorstudie für das andere, sondern jedes ist Studie für jedes und jedes kann letzten Endes das Beste werden oder voll daneben gehen. Gedanken und farbige Turbulenzen schwappen so von Bild zu Bild, konzentrieren sich, oder driften auseinander, finden zu einem gemeinsamen Ausdruck, oder entwerfen ganz verschiedene Gesichter. So kommt es auch zu einem Dialog unter den Bildern.
Diesen dialogischen Prozess treibt Anetta Küchler-Mocny, wie sie sagt, so weit, bis eines dieser Bilder mit ihr Blickkontakt aufnimmt. Dann sei ein Punkt erreicht, nicht wo das Bild fertig sei, aber, wo es Zeit werde sich von der Bildfläche zurückzuziehen. Nur, dieser Zeitpunkt sei nicht immer leicht auszumachen. Es sei oft nur ein Augenblick, ein Wimpernschlag, mit dem sich das Bild zu erkennen gebe.
Jetzt ist spätestens der Moment gekommen wo man nicht mehr unter vier, sondern unter sechs Augen ist.
Meistens bedient sich Anetta Küchler-Mocny eines organischen, gelegentlich geometrisierenden, aber immer aus dem Pinsel, dem Spachtel oder direkt aus der Tube fließenden Formrepertoires. Repertoire ist natürlich nicht richtig, denn sie hat kein Repertoire. Sie findet und erfindet ständig neu. Köpfe geraten zu Vierecken, Augen zu Rauten oder Wolken, Nasen zu Trapezen, Münder zu Schleifen, Haare zu Kurven und Farbwirbeln. Alle Strenge löst sich auf. Manchmal sind es auch nur Accessoires oder winzige Details, die ein Gesicht bestimmen.
Die Bilder basieren oft auf einem simplen Grundmuster: Augen, Nase, Mund, Oval, Punkt, Punkt, Komma, Strich. Dann jedoch lässt sie den gängigen physiognomischen Darstellungskanon weitgehend außer Acht und bedient sich einer frei erfundenen, autonomen, spielerisch vorgetragenen Formsprache, die zum Schluss dann in hohem Maße bezeichnend ist für das jeweilige Gesicht. Ähnlich wie bei Picasso, wenn er seine Doramar porträtiert, da stimmt auch nichts, trotzdem ist es genau auf den Punkt gebracht.
Der Vorgang Malerei, auf einen ganz einfachen Nenner gebracht, hieße: Malerei ist das Verbringen der Farbe aus der Tube auf die Leinwand. In diesem, nennen wir es mal, Vorhof der Malerei, spielt sich bei Anetta Küchler-Mocny eine Menge ab. Vorhof ist natürlich verkehrt, denn sie ist schon mittendrin in diesem Vorhof. Etwas lästerlich könnte man sagen, sie lädt gelegentlich die Farbe auf der Leinwand ab. Oder, sie schafft es in kurzer Zeit viel Farbe auf die Leinwand zu bringen. Über solche Art Lästerei darf sich die Künstlerin nicht beklagen, denn ihre Malerei hat auch durchaus etwas Lästerliches. Modell sein für Anetta Küchler-Mocny ist nicht immer einfach. Da muss man schon gute Nehmerqualitäten mitbringen. Jedoch, wer sich von ihr malen lässt, egal ob er sich mit seinem Bild anfreunden kann oder nicht, hat auf jeden Fall etwas über Malerei erfahren.
Anetta Küchler-Mocnys Malerei wird bisweilen als karikierend bezeichnet. Dem kann man nur bedingt zustimmen. Es ist auch nicht sicher, ob Karikatur in der Malerei überhaupt möglich ist. Karikieren heißt überzeichnen, also zeichnen. Wenn man allerdings den Begriff Überzeichnen, bezogen auf die Malerei, als dick auftragen versteht, so trifft das natürlich bei Anetta Küchler-Mocny sehr wohl zu. Außerdem entbehrt ihre Malerei auch nicht einer gehörigen Portion von Humor und Witz, wobei der Witz allerdings immer aus der Malerei kommt.
Diese hat manchmal etwas Maskenhaftes, also Ambivalentes, einerseits verbergend, andererseits betonend. Eine Art Facelifting oder Make-Up, jedoch nicht auf die Haut aufgetragen, sondern auf die Leinwand und auf diesem Umweg auf die Persönlichkeit.
"Hautnah" ist auch ein Schlüsselwort für Anetta Küchler-Mocnys Malerei. Sie zielt nicht auf die Reflexionsfläche Haut, sondern auf ihre Nähe. Das kann darüber sein, wenn sie zum Beispiel eine besondere Ausstrahlung einfängt, oder darunter. Haut ist die Grenze zwischen innen und außen. Diese Grenze macht Anetta Küchler-Mocny durchlässig.
Ihr Blick unter die Haut fördert ganz gewiss keine Seelenlandschaften zu Tage, sie versucht zu eruieren, was steckt an Malerei in dieser Person? Dabei legt sie bisweilen eine, gelinde gesagt, befremdende Kompromisslosigkeit an den Tag. Befremden, begleitet allerdings von etwas absolut Vertrautem. Das Wiedererkennen in den Porträts beruht weniger auf Ähnlichkeit, als auf Vertrautheit. Befremdend und vertraut zugleich, eine Diskrepanz, die in dieser Malerei seltsamerweise fokussierend wirkt.
Vielleicht sollte man Anetta Küchler-Mocnys Porträts lieber Gesichter nennen, denn in Gesicht steckt der Begriff "Sicht", also das Sehen, visieren, anvisieren. Der Begriff "Gesicht" stellt das Sehen und somit die Augen in den Vordergrund. Auf alle anderen Gesichtsmerkmale verzichtet sie hin und wieder oder deutet sie nur an. Die Augen aber sind immer da. Auch, wenn sie manchmal geschlossen scheinen, sie sehen dich doch an. In der Kunst, oder in der Beschäftigung mit ihr, sagt man wohl, gehe es darum Bilder sehen zu lernen. Hier dreht Anetta Küchler-Mocny den Spieß um. Bei ihr lernen die Bilder sehen.
Wolfram Heistermann, 2012